zu Halloween 2002
Helga Gebauer und Isabella Nohe
Am darauffolgenden Samstag haben wir trotz schmerzender Füße wieder mehr als ein Ziel. Helga ist wie immer früh auf (es ist gerade mal fünf Uhr!!!), macht ihren Morgenspaziergang und bringt netterweise wieder Kaffee mit. Wir sind wirklich ein gutes Team!
Heute morgen entdecken wir einen kleinen chinesischen Laden (eine Art Grimminger, nur vieeeel freundlicher), sehr sauber, wir werden bedient, und es gibt - oh Wunder – Kaffee aus einer Porzellantasse – wir frühstücken gemütlich. Kaffee wird hier automatisch nachgeschenkt, und billig ist es auch (die Reisekasse seufzt vor Freude!).
Der Bus bringt uns zum „Exploratorium“, einem runden Kuppelbau griechischer (?) Art, sehr schön in einem kleinen Park mit Teich gelegen. Wir beschließen, später wieder hierherzukommen (schließlich haben wir auch dafür eine Eintrittskarte in unserem Wochenticket) – aus einem speziellen Grunde sollte uns das aber nicht gelingen, doch dazu später mehr.
Wir laufen zum Meer, spazieren am Beach entlang, denn unser Ziel ist heute (endlich), die Golden Gate Bridge zu erkunden, um die wir jetzt die letzten Tage herumgelaufen, gefahren, durchschwommen usw. sind. Am Strand treffen wir Dutzende von Hunden mit ihren jeweiligen Herrchen – und ich dachte schon, in SF gäbe es überhaupt keine Hunde. Außerdem wetzen um uns herum lauter joggende Menschen – wir beschließen, diesen Wahn zu ignorieren. Aber schließlich sind wir für unsere Verhältnisse auch schon ganz schön herumgerannt ...
Das ganze Strandgebiet gilt als „Recreation Area“, gilt also als Gebiet, das renaturiert werden soll. Strand und Dünen werden nach einem speziellen Programm bepflanzt und geschützt, zum einen aus ökologischen Gründen, aber auch, um das ursprüngliche „San Francisco“ wieder herzustellen, wenn auch nur ein kleines Stück weit. Hier ist sicher auch die Strandminze gewachsen, die der Stadt ursprünglich ihren Namen gegeben hatte: Yerba Buena, duftendes Kraut.
Nach kurzer Rast in einem wunderbaren Restroom (die Amerikaner machen das wirklich prima: überall, wo frau ein Klo braucht, ist auch eines, und keins kostet Geld) stürzen wir Richtung Brücke. Zu unserem Erstaunen ist unter dem ersten Pfeiler ein Fort gebaut, um in alten Zeiten den Eingang zur Bay zu überwachen (zum ersten Weltkrieg??)
Ein älterer Herr in Offiziersuniform steht offenbar für Fotografen so malerisch in der Landschaft, und für Helga setzt er sogar seine Brille ab, die nicht so recht zum Outfit passen will. Majestätisch bewacht er das Tor zum Fort, während über seinem Kopf große Brückenrenovierungen in Gang sind. Der 11. September fällt uns ein – hier ist auch so ein Ort, an dem ein Anschlag schreckliche Folgen hätte.
Wir umrunden die Baustelle – über uns läuft ein kleiner Pfad zur Brücke hoch –Helga macht jede Menge Bilder.
Dann erleben wir den Höhepunkt der Reise: Wir gehen über die Brücke! Bis zur Mitte zwar nur, aber hier ist der Ausblick wirklich fantastisch: weit hinaus über die Bay, die Stadt liegt im Dunst, jede Menge Schiffe und Schiffchen, der Pazifik, und hinter uns der sechsspurige Autoverkehr, der keine Sekunde ruht. Unter dem mittleren und höchsten Teil hat man dann einen grandiosen Blick hinauf in die Spitze des höchsten Pfeilers – da kann es einem schon ganz schwindlig werden. Zum Glück haben wir heute noch nichts getrunken.
Am Denkmal für den Erbauer der Brücke gibt es – natürlich – einen Shop mit dem üblichen Souvenirkram. Beim Herumstöbern greifen Helga und ich aber gleichzeitig zu demselben T-Shirt, das wir dann beide auch käuflich erwerben (natürlich mit der Brücke drauf, was sonst?).
Der Rückweg zu unserem (vorhin schon angepeilten) Museum gestaltet sich schwierig. Da es doch ein Stück weit weg ist, und wir unsere Füße schonen müssen, wollten wir per Bus fahren. Der Fahrer gibt auch brav Auskunft, er fahre Richtung „Downtown“, und wir glauben, er fährt dahin, wohin wir wollen – es wäre eine einzige Station zu fahren. Aber nichts da: er fährt in die völlig andere Richtung (wir bleiben vor Schreck sitzen), und macht nun mit uns ca. 1,5 Stunden eine richtiggehende Stadtrundfahrt, die wirklich sehenswert und beeindruckend ist. Zunächst am Pazifik entlang, durch das südamerikanische Viertel, (puertoricanische), vorbei an der Universität, um uns schließlich mitten im „schwarzen“ Teil mit dem Bemerken herauszuwerfen, es fahre irgendwo um die Ecke schon ein Bus, den wir nur suchen sollten. Überhaupt diese Busse. Sie fahren wann sie wollen, und unserer Meinung nach auch wie und wohin sie wollen (was natürlich so nicht ganz stimmt). Jedenfalls ist immer einer zur Hand, wenn man ihn braucht, und als wir noch herausgefunden hatten, dass die gelben Streifen an den Elektromasten auf der Straße die Busstops markieren, war vieles leichter. Die Busfahrer (meist Chinesen oder Farbige) geben gern Auskunft und finden auch nichts dabei, auf offener Strecke anzuhalten, um mit einem entgegenkommenden Busfahrer ein Schwätzchen zu halten oder mit einem bekannten Autofahrer einen Witz auszutauschen. Sehr menschlich und sympathisch, wenn mans nicht eilig hat (aber wer hat das hier schon!). [Auch der Bus selbst ist gesprächig – alle 2 Minuten verkündet er: "Thank you for riding Muni. Please use the rear door."]. Hier geht das Leben doch nicht so schrecklich nach der Uhr und keiner findet das schlimm und regt sich darüber auf. Dann kommt man eben ein paar Minuten später an, was solls.
Ab und zu verliert der Bus auch sein Stromkabel, an das er angeschlossen ist. Dann steigt der Fahrer aus und repariert das. Da könnte unsere MVV viel Geld sparen, wenn sie dieses System übernehmen würde. Wir müssen ständig für Millionen neue Bahnen kaufen, die nicht besser sind als die alten. Hier in SF werden die alten Bahnen gepflegt und es sind sogar Busse und Bahnen unterwegs, die irgendwo in Europa ausgemustert und von „Municipal“ aufgekauft werden (z.B. uralte Teile aus Italien mit Holzsitzen und kleinen Doppelfenstern – witzigerweise blieben auch die Originalschildchen im Inneren überall dran). Damit soll der Charme der Stadt gepflegt werden und so kommt es, dass verschiedene Typen an Bussen und Bahnen kreuz und quer durch die Stadt fahren – ein Erlebnis für sich.
Zurück zu unserer Irrfahrt: Wir nehmen also wie „angeordnet“ den nächsten Bus, diesmal sind wir die einzigen Touris unter den Fahrgästen, nun für die nächsten Kilometer sympathische farbige Menschen, viele scheinen sich zu kennen. Im Nachhinein gesehen war es fast ein Glücksfall, dass wir in den Bus mit der für uns falschen Fahrtrichtung gestiegen sind. Denn bei dieser „Stadtrundfahrt“ – so musste man das schon sagen – haben wir einen Blick bekommen, wie weitläufig das Stadtgebiet ist, wie unterschiedlich die einzelnen Stadtviertel und Vororte nach Menschenrassen und Baustilen. Helga wollte unbedingt an der Third (3. Straße) aussteigen, was zwar geklappt hat, aber die Third Street ist ca. 30 km lang – und es wäre im Nachhinein gesehen doch recht unpraktisch gewesen, an der Hausnummer 12.000 der Third auszusteigen, wenn man wie wir zur Nummer 6 will ...
Dort – Lichtjahre später – angekommen stürzen wir uns (da unser Zeitplan ja durcheinander geraten ist) in das SFMOMA (San Francisco Museum of Modern Art), ein brandneues Gebäude mit superschicker Fassade, und auch im Inneren ganz phantastisch. Da ich mir nicht so dolle viel aus moderner Kunst mache, schlendere ich so etwas sinnlos hin und her, während Helga die Stockwerke penibel durchwandert. Es gibt eine Sonderausstellung, die ich schrecklich finde (Helga hält sich zurück, na!!! [doch nicht ganz: Das Schaffen von Gerhard Richter wird in allen seinen Aspekten dargestellt – eine fantastische Ausstellung]), aber dann finde ich eine kleine Terrasse und genieße im Sonnenschein den Blick auf die Stadt. Im großen Museumsshop treffen wir uns wieder und machen uns gut gelaunt auf den Weg zurück ins Hotel. Unterwegs durchkämmen wir noch schnell zwei Läden, die ihre Halloween-Reste verschleudern – was man da zum halben Preis noch alles findet!
Noch schnell an der corner die mails checken. Mein Chef hat mir aus einer anderen Welt eine email geschrieben: Bitte (irgendwas) erledigen! Ich schreibe zurück: „OK, nach ich gern -- sobald ich zurück bin!“
Keine Rückantwort von Regina auf meine elektronische Post; hoffentlich ist nichts passiert. Morgen ist Sonntag, und da rufe ich doch mal zuhause an!
Auf dem Rückweg landen wir noch kurz im Café de la Press und trinken zur Beruhigung ein Glas Wein. Ringsum bauen Straßenhändler ihre Stände auf – da werden wir später doch noch mal eine Runde drehen. (Zum Wochenende kommen Obst- und Gemüsebauern aus der Umgebung in die Stadt, um frische Sachen zu verkaufen.)