zu Halloween 2002
Helga Gebauer und Isabella Nohe
Wie soll ich heute beginnen?
Nach zwei Gläsern Wein (es war schließlich Sonntag!) und 8 Stunden Schlaf kann es wieder losgehen. Helga spielt wie immer early bird und geht bei Nacht und Nebel aus dem Haus zum Morgenspaziergang. So finde ich nach dem Duschen heißen Kaffee vor, und wir schütteln zusammen den Kopf über die US-news - while drinking the hot coffee!
Ständig kommen Werbespots zu der bevorstehenden Wahl „No for N, Yes for N, Yes for XYZ usw.“ Wir versuchen, einen Sinn darin zu finden, aber vergeblich. Ein Heißluftballon ist in der Luft verbrannt, ein Kind wurde misshandelt, Mr. Bush sen. hat seine Memoiren geschrieben usw. Was in Europa oder dem Rest der Welt passiert wird (fast) komplett ignoriert (was uns doch etwas ärgert ..).
Heute morgen wollen wir endlich den Coit Tower besteigen, den wir seit Tagen umrunden – viel Zeit bleibt uns nicht mehr, schließlich ist schon Dienstag. Wir gehen zu Fuß: Briefträgers Feierabend. (Eines weiß ich mit absoluter Sicherheit: Diese Schuhe nehme ich nicht mehr mit nach Hause, die kommen in den Müll!)
Die Straßen zum Telegraph Hill hinauf sind noch etwas steiler als üblicherweise – wir kommen ganz schön ins Schwitzen. Am Fuß des Turms, der von Ellis Coit gestiftet wurde, stellen wir fest, dass er erst in eineinhalb Stunden öffnet – das hat frau nun vom Frühaufstehen! Die Aussicht rundherum ist trotzdem sehr schön, allerdings ziehen heute morgen von Berkeley her dunkle Wolken. Wir trotten also die Straße wieder herunter Richtung Stadt und finden – nach einer Stärkung via Sandwich – nun per Fuß, eben by the way, die berühmte Lombardstreet, die wir nun rauf- und runter laufen.
Wir beschließen, im Hafen die große Schokoladenfabrik zu suchen – ein paar Mitbringsel müssen schließlich noch sein. Aus einer alten Fabrikhalle hat Ghirardelli (die Italiener haben den Hafen komplett vereinnahmt) eine schöne Shoppingmeile gemacht mit kleinen, witzigen Läden, viel Schokokram, und einem crazy Hutladen. Im Innenhof stehen kleine Tische und Stühle, die uns etwas zurufen in der Art: Setzt euch doch mal etwas hin und macht eine Pause. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und genießen eine heiße Schokolade (was sonst), danach wollen wir zurück zum Hotel.
Ein Bus mit der Aufschrift „Coit Tower“ lässt uns flugs unsere Marschrichtung doch noch ändern, wir sind schließlich flexibel, und mit vier Rädern geht’s auch viel schneller. Der Aufzug im Turm bringt uns ganz nach oben; die Aussicht wäre super, wenn nicht die vergitterten Scheiben wären. Christoph Columbus schaut von seinem Platz vor dem Turm aus hoheitsvoll über uns hinweg – die Stadt Genua hat Geld gespendet, damit die amerikanischen Italiener in der Fremde weniger Heimweg haben.
Überhaupt leben hier alle solchen Anlagen, Parks, Museen etc. fast nur von Spenden wohlhabender und wohlmeinender Mitbürger – dafür stolpert man ständig über lange Listen von Namen der edlen Spender, eingemeißelt in Wände, Böden, Treppen usw.
Rückzus fährt eine farbige junge Frau den Bus. Sie rast wie eine Irre den Hügel herunter, ein Wunder, dass nichts passiert.
Auch die Feuerwehr der Stadt rast – offenbar ohne größere Unfälle, dafür aber mit ohrenbetäubendem Lärm – durch die Stadt. Die Franziskaner haben traditionell große Angst vor Feuer – kein Wunder bei den vielen Holzbauten –, und überall sind Hydranten und Wasseranschlüsse an den Häusern angebracht.
Wir schleppen unsere gifts zum Hotel. Es ist so heiß geworden, dass wir um die Schoko-Sachen fürchten. Helga und ich haben ganz schön Farbe bekommen.
Wir fahren mit der Bahn ins Castro-Viertel, das wir an Halloween nur im dunkeln erlebt haben. Im „besseren“ Teil dieses Districts stehen wunderbare, nachgebaute viktorianische Häuser, wir schlendern durch die Straßen und suchen den ältesten Teil von SF, die sogenannte Mission Dolores. Also diese Franziskaner sind ganz schön geschäftstüchtig: Da kann man doch tatsächlich die Franziskus-Basilika nicht etwa einfach betreten, nein, Zugang gibt es nur durch den Gift-Shop, und der kostet Eintritt. Das hält uns natürlich nicht ab, das alte Kirchlein der Mission (aus 1793, das älteste noch erhaltene Gebäude der Stadt, und letztes und einziges Zeugnis der Ureinwohner) und die daneben liegende neue Basilika zu besichtigen. Auf dem kleinen Friedhof finden wir nicht nur viele bekannte Namen (aus der Stadt), sondern auch einen kleinen Kräutergarten. Es riecht wie yerba buena, pardon: Pfefferminz, und das ist es wohl auch.
Den Rückweg nehmen wir sicherheitshalber mit der Underground und finden so per Zufall beim Aufstieg den Eingang zu dem berühmten Kaufhaus Nordstrom, ein zehnstöckiges Einkaufscenter der Superlative, mit runden Rolltreppen und viel Spiegelglas. Helga ist begeistert, das ist ja besser als Macys. Wir rollen hinauf und herunter bis uns schwindlig wird, dann trollen wir zurück zum Hotel und Helga telefoniert noch rasch mit Air France, ob denn (schnüff ..) unser Flug planmäßig zurück fliegt. Er fliegt, was bedeutet: Morgen ist definitiv unser letzter Tag hier im sonnigen Californien.