Drei Hexen in Irland
Gott, laß mich eine offene Muschel sein: offen zum Empfangen,
offen zum Nehmen, offen zum Teilen, offen zum Schenken.
Laß mich eine offene Muschel werden: für den Pilgerweg meines Lebens,
für meine Mitmenschen daheim, für ihre Zuneigung und Liebe,
für ihre Sorgen, Ängste und Nöte.
Laß mich als offene Muschel leben: mit den Erfahrungen dieser Reise,
mit deiner befreienden Botschaft, mit deinem Segen.
Der 6. Tag beginnt wie schon gewohnt mit herrlicher Aussicht auf einen sonnigen Tag. Wir fahren heute Richtung Westport und zur Achill Island, worauf ich mich besonders freue.
Der Croagh Patrick sieht auch heute morgen wie eine Pyramide aus (mit etwas Phantasie könnte es auch die Alpspitze sein), ihn werden wir morgen besichtigen und auf einem kleinen Stück auch besteigen.
Der Ben Bulbon taucht auf, ein weithin sichtbarer Tafelberg, der in keltischer Zeit Heiligtum war. Er wird noch oft in unser Blickfeld geraten (und sieht auch absolut faszinierend aus).
Vorbei an herrlichen Seen (wieso fasziniert mich das so unglaublich?) und Sommerbetrieb in Newport kommen wir nach Mulrany, einer hübschen kleinen Ortschaft, rechts und links schon vom Meer eingerahmt. Hier ist alles auf Meer, Fischen, Badebetrieb und Sommergäste eingestellt, und erwartungsvoll sehen wir der "Meerenge" entgegen, sprich, der kleinen Brücke, die uns zu Achill Island bringt.
Zur rechten der Sund von Achill, der Atlantik riecht erwartungsvoll und wir freuen uns auf das Meer. Auf der Insel zunächst etwas Enttäuschung - das Land ist schrecklich karg und steinig, die Berge felsig und nur von Moos bewachsen. Man kann sich vorstellen, wie trostlos und einsam es hier bei Sturm und Regen sein kann. Das fast unendliche Moor tut das seine dazu; in großen Haufen liegen die gestochenen Torfstücke rechts und links am Wegrand und auf den Feldern, meist in bunten Plastiktüten zum Trocknen. Als das Meer dann zwischen den Bergen auftaucht, wird die Stimmung gleich wieder besser.
Wir machen Halt in einem Hotel, in dem wir eine Frau treffen, die Deutschlehrerin auf der Insel ist. Daneben ist sie Kastellanin (Lektorin) in der Kirche und hat Frauengruppen gegründet, die sich im Herbst und Winter regelmäßig treffen, um Kontakt zu pflegen und auch um sich gegenseitig zu helfen. Es gibt acht solcher Gruppen auf der Insel, und wenn man die Entfernungen betrachtet, in denen die Menschen auseinander wohnen, kann man sich vorstellen, wie wichtig diese Kontakte gerade im Winter sind. Sheila erzählt uns, dass sie durch die Möglichkeiten des Internet Verbindung mit einer Frauen-mail-Gruppe hat, was sehr wichtig und hilfreich ist. Sie bekommt dadurch viele Anregungen, die sie den Frauen weitergibt.
Wir werden herzlich empfangen und bewirtet. Wir erzählen von unserer Frauengemeinschaft (auf dem Heimweg werden wir überlegen, was die denn tatsächlich bewegen kann...). Sheila erzählt uns, daß sie allein durch unser Kommen neue Ideen gefunden hat für die nächsten Treffen mit ihren Frauen im Herbst. Die Frauen müssen unter harten Bedingungen leben, was wohl sehr widerstandsfähig macht. Sie erzählt uns von ihrer unternehmungslustigen 86-jährigen Mutter, die jeden Morgen im Meer schwimmt und gerade lernt, mit dem PC umzugehen. Die Frauen auf der Insel sind sehr selbstbewußt geworden und überall bei unseren zahlreichen Gesprächen finden wir schnell heraus, daß wir Frauen doch die (fast) gleichen Probleme und Sorgen haben, aber überall dabei sind, die Männerdomäne aufzuknacken, uns nicht mehr bevormunden zu lassen und unsere eigenen Gedanken und Überzeugungen durchzusetzen. Das stellt sich auch als zumeist richtig heraus und die Männer müssen nun einfach lernen bzw. können es nur hinnehmen, daß solche starken, intelligenten und aktiven Frauen Mitsprache nicht nur einfordern, sondern als selbstverständlich ansehen. Die "Kirchen"frauen waren da sehr beeindruckend, aber auch die Frauen in Derry und jetzt diese aktive selbstbewußte und sehr religiöse Frau auf der Insel.
Nach diesem interessanten Morgen machen wir einen kurzen Spaziergang zum Cottage, in dem Heinrich Böll mit seiner Familie viele Jahre gelebt hat, und nach einem kurzen Nachmittags-Souper in der Sonne geht es endlich Richtung Strand.
Hier wird Isabella das erste Mal in ihrem Leben im Atlantik baden - Helgas Badeanzug sei Dank. "Leider" ist Helga erkältet - what a pitty! (Dafür darf sie in aller Ruhe den 4. Film wechseln!) Ein traumhafter Sandstrand glitzert in der Mittagssonne, und dafür, dass hier im Sommer viele deutsche Touristen Urlaub machen, sind doch erstaunlich wenig Menschen am Strand. Das Wasser glitzert wie geschmolzenes Silber bis zum Horizont - die nächsten Nachbarn westlich sind Amerikaner und ich vermute, in Martha´s Vineyard (oder war es Dartmouth?). Gleich nach der Heimkehr werde ich im Atlas nachsehen (Anm.: fast richtig geraten...)
Das Wasser ist glasklar, weit hinaus in den Atlantik flach, und gar nicht sooo furchtbar kalt. Die paar Algen und sonstiges Getier kann man gut ausmachen und sind harmlos im Vergleich zum Salzgeschmack des Meeres. Leider ist die Brise ganz sanft, bei Sturm muß es hier interessant sein. Der Sand mündet in einen Streifen großer bunter Kieselsteine und wird abgelöst von Dünen mit Strandhafer. Hier lassen wir uns nieder, Marion, Helga, Christel und Gerlinde, und natürlich ich - wir trinken endlich, endlich unseren ganz warmen Mumm... Hier könnte ich die nächsten vier Wochen sitzen bleiben; vielleicht sollten wir unseren Flieger "verpassen" und nach Haus telegrafieren: Sitzen im Sturm fest! Wir wissen, das geht nicht, katholische Frauen sind einsichtig und lassen ihre families nur ungern allein. Aber die zwei Stunden am Strand lohnen das bisschen schlechten Gewissens - der Gewinn für die Familie, wenn wir glücklich und zufrieden zurückkommen, wiegt das mehr als auf.
Ganz in der Nähe liegt ein desert village, von Heinrich Böll in seinem Tagebuch eindrucksvoll beschrieben, und wir machen eine kurze Rast und besichtigen die Hausruinen, die eng aneinander gedrängt an einem steinigen und kargen Hügel liegen - winzig kleine Einzimmerhäuschen. Kein Wunder, daß die Menschen, die hier außer Schafherden keine Lebensgrundlage hatten, nicht geblieben sind. Viele sind wahrscheinlich nach Amerika ausgewandert oder bei der großen Hungersnot gestorben. Schafe gibt es hier noch überall; ein einsamer Mensch schreit uns von der Straße aus ständig zu. Zuerst vermuten wir, daß er Marion damit meint, die einsam durch den eingezäunten kleinen Friedhof marschiert ("Go out, go out"), bis wir feststellen, daß er seine Schafherde zusammenruft. Sehr folgsam war die nicht (die Schafherde, nicht Marion), aber wir sind es umso mehr und folgen unserer Führerin zurück in den Bus.
Wir dürfen auf dem Heimweg an der Inselgrenze noch einmal aussteigen und Marion gelingt es mit massiver Unterstützung endlich, zumindest für Ragna ein Geschenk zu kaufen.
Die Heimfahrt bringt noch einmal herrliche Aussichten, und der St. Patrick leuchtet in der Abendsonne; fast könnte man meinen, er sei durchsichtig. Wunderbare Musik, die Geschichte des verlassenen Dorfes; die ersten Sonnenbrände des Tages treten in Erscheinung. Morgen werden wir den Heiligen Berg, auf den sich der Legende nach der Hl. Patrick zum Beten und Meditieren zurückgezogen hat, näher erkunden.
Ankunft im Hotel in Knock: The same procedure as every evening: Hochzeit, die dritte. Es wimmelt von teilweise schon angetrunkenen Gästen, die Braut sitzt in der Bar (wir wussten schon, daß die Iren ein trinkfreudiges Volks sind), und alles scheint etwas chaotisch. Leider müssen die Hochzeitsgäste in der Bar die Getränke selber zahlen, so daß es keinen Sinn macht, sich unter selbige zu mischen. So bezahlen wir unseren "Sutters Gold" Chardonnay aus Californien brav selber und amüsieren uns aus einem Winkel in der Bar über die Gesellschaft (und über uns selbst).
Die Nachrichten im Fernsehen laufen im Hintergrund, aber Gipfel in Japan und große Politik usw. sind uns derzeit völlig schnuppe. Jetzt aber kommt die Wettervorhersage, die uns sehr interessiert: Es bleibt schön. Nun beschließen wir, heute schon zum zweitenmal, in diesem schönen Land noch viel länger zu bleiben. Morgen ist schon der Abschiedsabend, und es wird uns schwerfallen, wieder nach Hause zurückzufahren!